Distributionspolitik im Public- und Nonprofit-Sektor

Lernziele

  • Verständnisziele
    • Besonderheiten der Distribution von Dienstleistungen im Public- und Nonprofit-Sektor identifizieren.
    • Zentrale Handlungsfelder der Distributionspolitik unterscheiden und auf Praxisbeispiele anwenden.
    • Zusammenspiel von Standort, Kontaktkanälen und Zugangsorganisation reflektieren.
    • Auswirkung von Distributionsentscheidungen auf Erreichbarkeit und Teilhabe verschiedener Zielgruppen analysieren.
    • Ansätze zur Reduktion von Zugangshürden zu öffentlichen Leistungen beurteilen.
  • Metapher / Provokation
    • Frage: „Was können Nonprofit-Organisationen von Drogenkartellen lernen?“
    • Kartelle: perfektes Verständnis von Nachfrage, Erreichbarkeit, niedrigschwelligen Kontaktpunkten, Logistik-Exzellenz.
    • Transfergedanke: Gemeinwohlorganisationen können analoge Distributionslogiken nutzen, um schwer erreichbare Zielgruppen besser zu versorgen.

Grundbegriffe und Ziele der Distributionspolitik

  • Definition
    • „Aktivitäten, mit denen Anbieter ihre Leistungen zugänglich machen“ – Verfügbarkeit zur richtigen Zeit, im richtigen Zustand, in der richtigen Menge, am richtigen Ort.
  • Klassische 4 R-Faustformel
    • Right Time
    • Right Condition
    • Right Quantity
    • Right Place
  • Distributionspolitische Ziele im Public/Nonprofit-Kontext
    • Gemeinwohlorientierung & Daseinsvorsorge
    • Zugänglichkeit und gesellschaftliche Teilhabe
    • Kostendeckung statt Gewinnmaximierung
    • Verteilungsgerechtigkeit (Versorgung strukturschwacher Regionen, sozialräumliche Balance)
  • Beispiele
    • Deutsche Post: Sicherung des Universaldienstes (Filialnetz, Automaten, Briefkästen)
    • Deutsches Rotes Kreuz: flächendeckende, krisensichere Versorgung mit Blutprodukten, niedrige Zugangsbarrieren für Spender:innen, Kooperationen mit lokalen Akteuren

Handlungsfelder der Distributionspolitik

  • Standortpolitik (Ort der Leistungserbringung)
  • Distributionskanäle (System beteiligter Akteure)
  • Kontaktkanäle (Form der Interaktion)
  • Zugangsorganisation (Rahmenbedingungen der Nutzung)
  • Logistik (physische Warenbewegung; im Dienstleistungskontext oft immateriell, z. B. Daten- oder Personenfluss)

Distributionspolitik im Public und Nonprofit Marketing

  • Besondere Rahmenbedingungen
    • Pflicht zur flächendeckenden Versorgung – legaler oder moralischer Auftrag.
    • Spannungsfeld Kostendeckung ↔ Sozialziele.
    • Heterogene Zielgruppen mit unterschiedlichen Fähigkeitsprofilen (digitale Kompetenz, Mobilität, Einkommen).
  • Vier Kernprinzipien
    • Bedarfsgerechte Standortwahl
    • Soziale Gerechtigkeit in der Verteilung
    • Physische & digitale Erreichbarkeit
    • Kooperation mit Dritten zur Effizienzsteigerung

Distributionskanäle

  • Direkte Distribution
    • Anbieter erbringt Leistung selbst; volle Qualitäts- und Zugangskontrolle.
    • Beispiele: Deutsche Post-Filialen (Postbank-Finanzcenter), DRK-Blutspendezentren, automatisierte Poststationen.
  • Indirekte Distribution
    • Leistung über Dritte vermittelt; Verantwortung geteilt.
    • Beispiel: Post-Partnerfilialen in Einzelhandelsgeschäften.
  • Abwägungskriterien
    • Kontrolle vs. Reichweite
    • Kostenstruktur
    • Vertrauenswürdigkeit der Intermediäre

Standortpolitik

  • Öffentliche Daseinsvorsorge: gesetzliche Pflicht zur flächendeckenden Versorgung.
  • Kriterien der Standortwahl
    • Nachfrage-Volumen (Bedarf)
    • Sozialräumliche Gerechtigkeit (Versorgung peripherer Gebiete)
    • Erreichbarkeit (ÖPNV-Anbindung, Nähe zu Wohnquartieren)
  • Typologien
    • Stationäre Distribution (feste Orte; zentral oder dezentral)
    • Mobile Distribution (wechselnde Standorte, aber fixe Zeiten)
    • Aufsuchende Distribution (individuell, Leistung kommt zum Nutzer/zur Nutzerin)
  • Praxisbeispiele
    • Stationär: DRK-Blutspendezentren, Bücherhallen Hamburg.
    • Mobil: DRK-Blutspendemobil, Hamburger Bücherbusse.
    • Aufsuchend: Streetwork, Notdienst für Suchtmittelgefährdete.

Kontaktkanäle

  • Persönlicher Kontakt
    • Face-to-face, synchron, oft am festen Ort.
    • Beispiel: Drogennotdienst.
  • Telefonischer Kontakt
    • Direkt, synchron, ortsunabhängig.
  • Digitaler Kontakt
    • Asynchron (E-Mail, Chatbot) oder synchron (Video-Call), medienvermittelt, ortsunabhängig.
  • Cartoon-Bezug (Slide 1)
    • „Flight canceled – choose how we ignore you: text, phone or video chat.“
    • Ironie: Viele Kontaktoptionen ≠ gute Service-Erfahrung.
    • Lernpunkt: Mehr Kanäle erfordern konsequente Qualitätssicherung.

Zugangsorganisation

  • Steuerung, wann und wie Nutzer:innen Leistungen erhalten.
  • Instrumente
    • Öffnungszeiten (klassisch vs. verlängert, z. B. Berliner Museen „After Work“)
    • Ticketing & Mobile Ticketing (BVG-App)
    • Terminvergabe / Queue-Management (z. B. „Bürgeramt ohne Termin“)
    • Kapazitätssteuerung mittels Zeitfenstern (Museum Barberini)
  • Datenbeispiel „Bürgeramt der Zukunft“ (Berlin)
    • Messgröße: Unterschied zwischen gebuchter Terminuhrzeit und Check-In.
    • Schwankungsbereich \Delta t \in [-100,\,100] Minuten; zeigt Pünktlichkeits-/Planungsproblem.
    • Digitale Tools sollen Streuung reduzieren.

One Stop Agency

  • Konzept: Bündelung und Koordination mehrerer Leistungen an einer Anlaufstelle.
  • Synonym: „One Stop Shop“.
  • Lebenslagenprinzip
    • Ausgangspunkt = reale Ereignisse im Lebenslauf (Geburt, Umzug, Pflegefall).
    • Leistungen & Informationen werden an diesen Ereignissen ausgerichtet statt an Ämterlogik.
  • Beispiele
    • Bürgerbüro Bochum, Pop-up-Bürgeramt Nürnberg, Mobiles Bürgerbüro Berlin, FamilienServiceBüro Marzahn-Hellersdorf.
  • Nutzen
    • Reduktion administrativer Hürden (Wege, Formulare, Medienbrüche).
    • Höhere Bürgerzufriedenheit & Effizienz.

Praxisbeispiele und empirische Befunde

  • Deutsche Post
    • Universaldienst: Mindestanzahl an Filialen, Automaten, Briefkästen gesetzlich vorgeschrieben.
    • Direkt + indirekt + automatisiert (Poststation) ↔ Kosten-/Reichweitenoptimierung.
  • Deutsches Rotes Kreuz
    • Kombination stationärer Zentren, mobiler Busse, aufsuchender Teams.
    • Kooperation mit lokalen Vereinen, Firmen, Events, um Spender-Frequenz zu erhöhen.
  • Berliner Volkshochschulen
    • Standortnetz nach Stadtbezirken; Kurse zusätzlich online → hybride Distribution.
  • Notdienst für Suchtmittelgefährdete, Berlin
    • Aufsuchende Streetwork + stationäre Kontaktstelle zur Sicherung der Erstversorgung & Beratung.

Mini-Case: Bürgerstiftung Mittelstein

  • Ausgangslage
    • Mission: Bedürftige mit Bekleidung & Schulmaterial versorgen.
  • Ansatzpunkte für verbessertes Distributionskonzept
    • Standortpolitik: Pop-up-Stores in Sozialräumen, Kooperation mit Schulen & Kirchengemeinden.
    • Distributionskanäle: Mischung aus direkter Verteilung (eigene Ausgabestelle) und indirekter (Sozialkaufhaus-Partner).
    • Kontaktkanäle: Vor-Ort-Beratung, Telefon-Hotline, einfache Web-Bestellung mit Abholfenster.
    • Zugangsorganisation: Ticket- oder Slot-System zur Vermeidung von Schlangen, verlängerte Öffnungszeiten vor Schulbeginn.
    • Logistik: Spenden-Abholung per E-Cargo-Bike, Lagerverwaltung via App.
  • Erfolgsfaktoren
    • Niedrigschwelliger Zugang (keine komplizierten Nachweisprozesse).
    • Sichtbarkeit in Quartieren mit hoher Armutsquote.
    • Nutzung ehrenamtlicher Fahrer:innen & digitaler Tools zur Kostensenkung.

Reflexion und Lerncheck

  • Aha-Momente
    • Distributionspolitik ist mehr als Standortwahl: sie umfasst Kanäle, Kontaktformen, organisatorische Regeln & Logistik.
    • Öffentliche Leistungen brauchen Servicedesign, das soziale Gerechtigkeit und Effizienz verbindet.
  • Prägnante Beispiele
    • DRK-Blutspendemobil: Mobilität erhöht Spender-Reichweite.
    • Pop-up-Bürgeramt: temporäre Präsenz senkt Verwaltungshürden.
  • Zentrale Erkenntnis
    • Zugangshürden sind multikausal (räumlich, zeitlich, organisatorisch, psychologisch). Ganzheitliche Distributionspolitik kann sie abbauen.
  • Weiterer Wissensbedarf
    • Vergleich internationaler One-Stop-Shop-Modelle.
    • Impact-Messung: Wie quantifiziert man Teilhabe-Gewinne (KPIs, Social Return on Investment)?