Säugetiere – Homöothermie, Thermoregulation & Reproduktion

Homöothermie – Grundideen und Bedeutung

  • Säugetiere sind homöotherm (gleichwarm); Körpertemperatur wird unabhängig von der Umgebung konstant gehalten.

    • Wärmebild-Beispiel der Dogge illustriert den deutlichen Temperaturunterschied zur Umwelt.

  • Lebenswichtig für:

    • gleichmäßige Entwicklungsbedingungen (Föten, Jungtiere)

    • Aktivität in klimatisch extremen Habitaten (Tag-/Nacht-, Jahreszeiten-Schwankungen)

  • Bindeglied zur Energetik: Erhalt der Körpertemperatur erfordert kontinuierlichen Energieumsatz ⟶ enge Kopplung an Nahrungsaufnahme und Stoffwechselrate.

  • Rückbezug zur 1. Vorlesung: Ergänzt die dort behandelten Merkmale (Extremitäten, Kiefergelenk, Gehörknöchelchen, Kreislauf, Zwerchfell, Fell, Haut) um physiologische Aspekte.

Energetik, Körpergröße & die „Maus-Elefanten-Beziehung“

  • Geometrische Grundregel: Oberfläche steigt ungef. proportional zum Quadrat, Volumen zum Kubus der Länge.

    • Kleinere Tiere: große Oberfläche relativ zum Volumen ⟶ hoher Wärme- & Energieverlust, schnelle Nach­energetisierung nötig.

    • Größere Tiere: kleiner relative Oberfläche ⟶ geringerer Verlust pro Masseeinheit, langsamere Stoffwechselfrequenz.

  • Klassische Maus-Elefanten-Gerade: s = a \cdot m^{b}

    • s … Gesamt-Energieumsatz (z. B. \text{ml O}_2/\text{h})

    • m … Körpermasse

    • a … Proportionalitätskonstante

    • b \approx 0{,}72\text{–}0{,}75 (Exponent umstritten, liegt meist in diesem Bereich)

  • Absoluter Verbrauch: Maus < Elefant.

    • Massenspezifisch (pro \text{g} Körpergewicht) jedoch umgekehrt: \text{Spitzmaus} \gg \text{Elefant} ⟶ Metabolische Rate nimmt mit Körpermasse ab.

Organanteile, Mitochondriendichte & Stoffwechselkosten

  • Hoher Umsatzzuschlag beruht v. a. auf Organen mit intensiver Stoffwechseltätigkeit:

    • Leber, Niere, Gehirn: hoher relativer Anteil bei kleinen, sinkt bei großen Tieren.

    • Lunge: geringer Umsatz, Anteil steigt aber linear mit Masse (Flächenwachstum).

    • Skelett: Masse nimmt stark zu, Stoffwechsel kaum.

  • Mitochondrien: Organe großer Tiere besitzen weniger Mitochondrien pro Volumen als die gleicher Organe kleiner Tiere ⟶ reduzierte Grundumsatzdichte.

Wärmehaushalt – Flüsse & Mechanismen

  • Interner Wärmestrom: Stoffwechsel‐Produktion ⟶ Transport per Blut (Konvektion) ⟶ Leitung durch Haut/Fell (Konduktion) ⟶ Abgabe via

    • Externe Konvektion (Wind, Luftströmung)

    • Strahlung (Sonne ↔ Körper, Reflexion Boden)

    • Verdunstung (Transpiration)

    • Bodenkontakt (Ableitung durch Extremitäten)

  • Schweißdrüsen: bei den meisten felltragenden Säugetieren kaum vorhanden; Verdunstung läuft primär über Respiration (Hecheln). Arten mit Schweißdrüsen (z. B. Primaten, Pferd) können zusätzlich dermal kühlen.

Thermoneutrale Zone (TNZ)

  • Temperatur-Intervall, in dem keinerlei zusätzlicher Energieaufwand zur Thermoregulation nötig ist.

    • Untere kritische Temperatur (UCT): Unterschreitung ⟶ aktive Wärmeproduktion (zittern, Thermogenese)

    • Obere kritische Temperatur (OCT): Überschreitung ⟶ aktive Kühlmaßnahmen (Schwitzen, Hecheln etc.)

  • Vergleich:

    • Gleichwarme Tiere: flacher Energie-Plateaubereich innerhalb TNZ.

    • Wechselwarme: Energieumsatz folgt direkt Umgebungstemp.; keine echte TNZ.

Strategien gegen Überhitzung

  • Morphologisch

    • Isolierendes, helle Fell (Reflexion), Schatten spendender Schwanz (Wüsten-Nager-Beispiel).

    • „Thermische Fenster“: dünn behaarte, gut durchblutete Areale an Extremitätenansatz; Aktiv: Hund streckt Gliedmaßen & legt Bauch auf kühlen Boden/Pfütze.

  • Physiologisch

    • Erhöhte Hautdurchblutung

    • Retia mirabilia (Gegenstrom-Wärmetauscher) in Pfoten & Extremitäten bei Caniden, Feliden, Paarhufern.

    • Schwitzen (bei Schweißdrüsen-Trägern), Hecheln.

  • Verhalten

    • Schattensuche, Nachtaktivität, graben.

Strategien gegen Unterkühlung

  • Kurzfristig

    • Vasokonstriktion / Vasodilatation (schnelle Umschaltung)

    • Kältezittern (shivering)

    • Zitterfreie Thermogenese über braunes Fett

    • Piloerektion (Aufrichten der Haare) ⟶ besseres Luftpolster

  • Langfristig

    • Saisonaler Haarwechsel (mehr Unterwolle)

    • Migration in wärmere Zonen

    • Winterschlaf, Winterruhe

    • Physiologische Akklimatisation (breitere TNZ, veränderte Schilddrüsen- & Nebennierenhormonspiegel)

Winterschlaf (Hibernation)

  • Arten: Igel, Hufeisennasen- & Glattnasen-Fledermäuse, Siebenschläfer etc.

  • Merkmale

    • Dauer: Tage (Kurzschläfer) bis Monate (Siebenschläfer ≈ 7 Monate).

    • Körpertemperatur: 0{,}2\,^{\circ}\text{C} \text{–} 5\,^{\circ}\text{C} (nahe Umgebung).

    • Atemfrequenz: Igel ≈ 1 Atemzug ∕ h.

    • Herzfrequenz: Igel ≈ 2 Schläge ∕ min.

    • Individuum in Starre, völlige Bewegungsreduktion.

Winterruhe

  • Z. B. Bären, Dachs, Murmeltiere (Nagetiere & Raubtiere).

  • Unterschiede zum Winterschlaf

    • Körpertemperatur kaum gesenkt.

    • Energieumsatz leicht reduziert; Tier weckt sich öfter.

    • Herzfrequenz moderat erniedrigt.

    • Möglich: Geburt & Säugen von Jungtieren während Winterruhe (Bärin).

    • Größere Energiespeicher nötig (Fett, Nahrungsvorräte à la Feldhamster).

Akklimatisation

  • Anpassung über Wochen–Monate:

    • Fell-/Unterwolfdicke ↔ Umgebungsklima.

    • Schilddrüsenhormon gesteuerte Grundumsatzmodulation.

  • TNZ-Breite

    • Arktische Säuger: sehr breit.

    • Tropische: schmal.

Viviparie (Lebendgebären) & Reproduktion

  • Charakteristisch für fast alle Säuger, Ausnahme: Monotremata (Eierlegende).

  • Kein Säuger-Alleinstellungsmerkmal – auch einige Fische, Reptilien etc. sind vivipar.

  • Vorteil: Embryo entwickelt sich geschützt bei konstanter Temperatur, kommt in hohem Entwicklungsstadium zur Welt.

Weibliche & männliche Reproduktionsorgane
  • Männchen: Hoden → Nebenhoden → Samenleiter → Harn-Samenröhre.

  • Weibchen (paarig): Ovar → Eileitertrichter → Eileiter → Uterus → Vagina.

  • Lage der Harnblase & Enddarm-/Urogenitaltrennung

    • Prototheria (Monotremata): Kloake, Blase zwischen Uteri.

    • Metatheria (Beuteltiere) & Eutheria (Plazentatiere): Trennung von Darm & Sinus urogenitalis; Blase am Rand des Sinus.

Plazenta – Aufbau & Aufgaben
  • Metatheria: wenig spezialisiert.

  • Eutheria: hoch spezialisiert.

  • Funktionen

    • Stoffaustausch O2/CO2, Nährstoffe, Abfallstoffe.

    • „Hilfsleber“: Filtration & Hormonproduktion.

    • Bluttrennung Mutter ↔ Fötus.

Tragzeit & Entwicklungszustände

  • Abhängig von Körpergröße & Reifegrad bei Geburt.

    • Monotremata: legen Eier → sehr geringer Entwicklungsstand.

    • Metatheria: geringe Reife; Jungtier mit entwickelten Vorderextremitäten & Geruchssinn, krabbelt in Beutel und dockt an Zitze.

    • Eutheria: hohes Entwicklungsniveau; Unterteilung:

    • Lagerjunge (z. B. Katzen, Kaninchen) – liegen wenige Tage im Nest.

    • Laufjunge (Giraffe) – können kurz nach Geburt laufen.

    • Tragjunge (Primaten) – werden getragen.

Verzögerungen im Reproduktionszyklus

  • Zeitpunkt der Kopulation beeinflusst effektive Tragzeit.

  • Spermien-Speicherung (delayed fertilisation)

    • Fledermäuse gemäßigter Breiten: Paarung vor Winterschlaf; Spermien ruhen in Uteruswand; Ovulation + Befruchtung erst nach Erwachen.

  • Keimruhe (delayed implantation)

    • Viele heimische Wildsäuger: Ovulation & Befruchtung sofort, Entwicklung pausiert als Blastozyste über nahrungsarme Zeit.

  • Embryonalwachstum kann bei akutem Nahrungsmangel verzögert, bei Extremmangel abgebrochen werden.

  • Infanticide (Löwe, Meerkatzen): Tötung von Jungtieren setzt Weibchen erneut rasch in Östrus, verkürzt Reproduktionsintervall.

Laktation & Milchdrüsen

  • Milchdrüsen = modifizierte Hautdrüsen, exokrin; 3 Sekretionstypen

    • Merokrin/ekkrin: Exozytose → Proteine, Laktose.

    • Apokrin: Abschnürung apikal → Fetttröpfchen.

    • Holokrin: ganze Zelle zerfällt → Mineralien & zusätzliche Substanzen.

  • Bildliche Darstellung (im Video): Exozytose-Vesikel, apokrines Fettkügelchen, holokrine Zellauflösung.

Milch – Zusammensetzung
  • Wasser ≈ 80 % (variabel)

  • Proteine: Kaseine, Molkenproteine (Wachstum)

  • Fette: Energielieferant, Wasserquelle, Isolationsschicht-Bildung

  • Kohlenhydrate (v. a. Laktose)

  • Mineralien + Spurenelemente + Immunfaktoren (Antikörper)

Funktionelle Bedeutung
  • Vollständige Ernährung des Neugeborenen in der frühen Phase.

  • Immunschutz & Aufbau der Darmflora.

  • Extrem hoher Protein- & Fettgehalt beschleunigt Wachstum:

    • Robben­beispiel: Jungtierzunahme bis 2\,\text{kg} ∕ 24 h.


Ende der zweiten Vorlesung – Ausblick: dritte Vorlesung folgt.