VL6 Organisation

Wiederholungsfragen aus der letzten Sitzung

  • Zur Aktivierung des Vorwissens wurden folgende Kontroll-/Diskussionsfragen gestellt:
    • Was sind Transaktionskosten?
    • Aufwand (monetär + nicht monetär) für Anbahnung, Aushandlung, Durchführung & Überwachung von Verträgen.
    • Beispiele: Such-,\ Verhandlungs-,\ Kontroll-\ und\ Anpassungskosten.
    • Aktuelle Herausforderungen des Personalmanagements
    • Demografischer Wandel, Fachkräfteengpässe, Employer Branding im ÖD.
    • Digitalisierung & Remote Work, Diversity-Management, Gesundheitsmanagement.
    • Beschäftigtenzahl öffentlicher Dienst Deutschland
    • Rund \approx 5{,}1\,\text{Mio.} Personen (Bund, Länder, Kommunen, Sozialversicherungen; Destatis 2023).
    • Verhältnis Beamte vs. Tarifbeschäftigte
    • Mehr Tarifbeschäftigte (Angestellte) als Beamte; Beamtenquote \approx 30\%.
    • Typische Motive freiwilliges Engagement in NPOs
    • Altruismus, Sinnstiftung, soziale Kontakte, Kompetenzerwerb, Wertepassung, Public Service Motivation.

Ziele der heutigen Veranstaltung

  • Unterschied instrumenteller vs. institutioneller Organisationsbegriff erklären können.
  • Organigramme lesen & interpretieren.
  • Grundlagen des Prozessmanagements erläutern können.
  • Eisbergmodell der Organisationskultur kennen.
  • Alternative Organisationsformen öffentlicher Aufgabenwahrnehmung benennen.

Gesamtüberblick der Agenda

  • Einführung Organisation & Organisieren.
  • Differenzierung & Integration.
  • Strukturgestaltung (Funktional, Divisional, Stab-Linie).
  • Soziologischer Neo-Institutionalismus (Legitimation, Entkopplung, Isomorphie).
  • Prozessmanagement inkl. Optimierungsinstrumente.
  • Organisationskultur (Eisbergmodell).
  • Alternative Organisationsformen (interne/kooperative/externe Leistungserbringung).

Instrumenteller vs. Institutioneller Organisationsbegriff

  • Instrumentell
    • „Organisieren“ = bewusster Gestaltungsprozess.
    • Resultat: formale Ordnung (Stellen, Abläufe).
  • Institutionell
    • Organisation als dauerhafte soziale Einheit (Behörde, NPO).
  • Merksatz: „Eine Behörde HAT eine Organisation, IST aber auch EINE Organisation.“

Differenzierung & Integration

  • Aufgaben werden in Teilaufgaben zerlegt (Differenzierung).
  • Kleinste Einheit = Stelle (Aufgabenvolumen einer Vollzeitkraft).
  • Stellen werden zu Organisationseinheiten (Referat, Dezernat, Abteilung) gebündelt; diese bilden die Gesamtorganisation.
  • Mehrdimensional: lokale → regionale → staatliche → suprastaatliche Ebenen.
  • Beispiel Suchthilfeträger (Tab. auf Folie „Differenzierung“):
    • Dimensionen Zweck, Phase, Objekt, Rang, Verrichtung; zeigt Matrix-Charakter komplexer Strukturen.

Klassische Organisationsprinzipien

  • Kongruenzprinzip (AKV-Prinzip): Aufgabe \rightarrow Kompetenz \rightarrow Verantwortung müssen deckungsgleich sein.
  • Struktur nach Verrichtung vs. Objekt
    • Funktionalorganisation (z. B. F&E, Einkauf, Produktion, Vertrieb).
    • Divisionalorganisation (Regionen, Kundengruppen, Produktlinien).
  • SOS-Prinzip (Systemfunktionen): Steuerung – Operation – Service.

Organisationsstrukturen (Beispiel Stab-Linie)

  • Merkmale
    • Linienstellen erfüllen Weisungs- und Ergebnisverantwortung.
    • Stabsstellen liefern beratende Unterstützung ohne Weisungsbefugnis (z. B. Controlling, PR).
  • Vorteile: klare Autoritätswege, Spezialisierung; Nachteile: Informationsfilter, Überlastung oberer Ebenen.

Organigramm BMI (Übungsfolie)

  • Liefert Sicht auf formale Aufbauorganisation: Ministerin, Staatssekretäre, 12 Abteilungen (Z, D, V, DG, ÖS, B …).
  • Unbeantwortet bleiben
    • Informale Netzwerke, Machtstrukturen, Kultur, Prozesse.
  • Bürokratiegrad erkennbar an: Hierarchietiefe, Nummernlogik, Rechtsreferenzen ⇒ *bürokratische Tendenz hoch*.

Soziologischer Neo-Institutionalismus

  • Ausgangswerke: Meyer & Rowan (1977), DiMaggio & Powell (1983).
  • Kernkonzepte
    • Legitimität: Anpassung primär zur Akzeptanz wichtiger Stakeholder.
    • Entkopplung: symbolische Einführung von Strukturen ohne reale Verhaltensänderung („window dressing“, Rationalitätsmythen).
    • Isomorphiearten
    • Zwangs- (rechtliche Auflagen),
    • mimetische (Copy-&-Paste von Erfolgsmodellen),
    • normative (Berufsstandards, Ausbildung, „state of the art“).
  • Relevanz für ÖD/NPO: Reformen (New Public Management) oft mehr Symbolik als Effizienztreiber.

Prozessmanagement – Grundbegriffe

  • Prozess = wiederkehrende Abfolge von Aktivitäten mit klarem Start/Ende & Kundenfokus.
  • Elemente: Input → Aktivitäten → Output; Ressourcen: Menschen, Sachmittel, Informationen, Regeln.
  • Kennzahlen: Durchlaufzeit, Kosten, Qualität (Fehlerquote), Kundenzufriedenheit.
  • „90-degree shift“: Fokus verschiebt sich von Hierarchie (vertikal) zu Prozessfluss (horizontal).

Prozessarten

  • Managementprozesse: Planung, Kontrolle, Personalführung.
  • Kern-/Leistungserstellungsprozesse: direkte Wertschöpfung, Bürger-/Kundennutzen.
  • Supportprozesse: IT, Reinigung, Kantine – ermöglichen Kernprozesse.
  • Prozesslandkarte: Überblick & Einordnung aller Prozesse.

Vorgehensmodell Prozessmanagement

  1. Zielvorgabe (Strategie, Kundenerwartungen definieren).
  2. Prozessaufnahme & Dokumentation (Ist-Modell, Swimlanes, BPMN).
  3. Schwachstellenanalyse (Bottlenecks, Doppelarbeiten, Medienbrüche).
  4. Neumodellierung (Soll-Prozess, Automatisierung, Rollenverschiebung).
  5. Maßnahmenplanung & Umsetzung (Change-Management, Schulung, IT-Anpassungen).
  • Rollen: Process Owner, Prozess-Team, Sponsor.
  • Prinzipien: Empowerment, flache Hierarchien, Selbstkoordination, kontinuierliche Verbesserung (KVP).

Instrumente/Ansätze zur Prozessoptimierung (WZL-Ansatz)

  • Eliminieren (notwendigkeitsprüfung).
  • Standardisieren (Einheitlichkeit, Checklisten).
  • Substituieren (andere Technologie oder Ressource).
  • Outsourcen (Fremdvergabe).
  • Autonom gestalten (Entscheidungen an Ort der Wertschöpfung).
  • Integrieren (Schnittstellenabbau).
  • Parallelisieren (zeitliche Überlappung).
  • Iterationen vermeiden (First-Time-Right).
  • Kooperieren (intern/extern).
  • Beschleunigen (Durchlaufzeitverkürzung).

Organisationskultur – Eisbergmodell

  • Artefakte (sichtbar): Architektur, Dresscode, Rituale, Organigramm – "Spitze des Eisbergs".
  • Werte & Normen (teilweise sichtbar): Strategien, Verbote, Leitbilder.
  • Grundannahmen (unsichtbar, unbewusst): Menschenbild, Wahrheit, Zeitverständnis.
  • Bedeutung: Kultur erklärt „so tun wir’s hier“ & beeinflusst Struktur-/Prozesswirksamkeit.

Alternative Organisationsformen öffentlicher Aufgabenwahrnehmung

Institutionelle Optionen (KGSt 2010)
  • Eigenleistung in Kernverwaltung (klassische Amtsstruktur).
  • Eigenleistung in Kooperation (interkommunale Zusammenarbeit, kommunale Eigengesellschaft).
  • Aufgabenerledigung durch Dritte fördern (Subvention, Zuschuss).
  • Dritte direkt beauftragen (Contracting-Out, PPP).
  • Matrix: Kommune allein ↔ mit öffentl. Einricht. ↔ mit privaten/ gemeinwohlorientierten/ Bürgergruppen.
Rechtsformen kommunaler Leistungserbringung (KGSt 2012)
  • Unmittelbare Kommunalverwaltung (Amt/Fachbereich, Regie- bzw. Eigenbetrieb).
  • Öffentlich-rechtliche Unternehmen (Anstalt d. ö. R., Zweckverband, Kommunalunternehmen, Stiftung öR).
  • Privatrechtliche Gesellschaften (GmbH, AG, Genossenschaft, GmbH & Co KG, rechtsfähiger Verein, Stiftung privR).
Vor- & Nachteile institutioneller Arrangements (Reichard 2012)
  • Eigenleistung Kernverwaltung
    • + Vollständige Steuerung
    • – hohe Kosten, Bürokratie, Bürgerferne.
  • Eigenleistung verselbstständigte Einrichtung (z. B. Eigenbetrieb)
    • + Flexibilität, Kundennähe, Effizienz.
    • – Steuerungsdefizite, Kommerzialisierungsrisiko, Transaktionskosten.
  • Public Private Partnership
    • + Finanzierungsspielräume, Know-how, Synergien.
    • – begrenzte Steuerung, hohe Finanzierungskosten, komplexe Risikoteilung.
  • Contracting Out / Privatisierung
    • + Kapazitätsentlastung, Fokus auf Kernaufgaben, Kostenvorteile (theoretisch).
    • – Qualitätsrisiken, höhere Nutzerentgelte, Transaktionskosten.

Gesamtschau / Take-Aways

  • Organisation ≠ nur Hierarchie, sondern Zusammenspiel von Struktur, Kultur & Prozessen.
  • Differenzierung erzeugt Spezialisierung; Integration verhindert Silodenken.
  • AKV-Prinzip sichert Verantwortungsübernahme; Verletzung führt zu „white spots“ oder Doppelarbeit.
  • Neo-Institutionalismus erklärt, warum Reformrhetorik & Organigramm-Kosmetik nicht zwingend zu besserer Performance führt.
  • Prozessmanagement verschiebt Fokus auf Kundennutzen, Zeit & Qualität; methodische Disziplin (BPM) erfordert kontinuierliche Optimierung.
  • Wahl institutioneller Arrangements beeinflusst Steuerbarkeit, Effizienz, Legitimationsanforderungen & Transaktionskosten.
  • Zur Prüfungs­vorbereitung: Begriffe klar definieren, Beispiele (BMI-Organigramm, Suchthilfe-Matrix) erläutern & Vor-/Nachteile diskutieren.