Standortmarketing, Place Marketing & Branding – Prof. Dr. Berit Sandberg

Lernziele

  • Verständnis für die Rolle des Standortmarketings im Wettbewerb um diverse Zielgruppen.
  • Fähigkeit, Place Marketing von Place Branding zu unterscheiden und anhand realer Beispiele zuzuordnen.
  • Kritische Reflexion, ob und wie Standortmarketing das Image von Städten und Regionen beeinflusst.

Grundbegriffe und Erscheinungsformen des Standortmarketings

  • Standortmarketing = Gesamtheit aller Aktivitäten, mit denen Städte bzw. Regionen sich darstellen und Zielgruppen ansprechen.
  • Typische Ausprägungen
    • City Marketing (Innenstadt)
    • Stadtteilmarketing
    • Stadtmarketing (gesamte Kommune)
    • Regionalmarketing
  • Historische Referenz: New-York-State-Kampagne "I NY" (1977) – frühes Paradebeispiel für City Marketing.

Zielgruppen

Interne Zielgruppen

  • Bürger:innen
  • Unternehmen vor Ort
  • Zivilgesellschaft (Vereine, NGOs, Initiativen)

Externe Zielgruppen

  • Tourist:innen
  • Studierende & Auszubildende
  • Fachkräfte & junge Familien
  • Unternehmen & Investor:innen
  • Medien & sonstige Multiplikator:innen

Beispiel-Kampagnen für spezifische Zielgruppen

  • WienTourismus – „Take a Trip to Vienna“ (2023) ⇒ Fokus auf internationale Tourist:innen.
  • Stadt Guben – „Probewohnen“ (2024) ⇒ Ansprache potenzieller Neubürger:innen.
  • Stadt Eisenhüttenstadt – „Probewohnen“ (2025) ⇒ ähnliche Zielsetzung, Nachfolgeprojekt.

Place Branding – Definition & Erscheinungsformen

  • Langfristige Strategie zur Entwicklung einer klaren, glaubwürdigen und attraktiven Identität eines Ortes.
  • Formen:
    • City Branding
    • Regional Branding
    • Nation Branding

City-Branding-Fallstudie: Amsterdam

  • Einführung des Slogans “I amsterdam” (2004) .
    • Ziel: Identitätsstiftende Botschaft für Bürger:innen UND Besucher:innen.
    • Visuelle Ikone (rote/weiße Lettern) als „Selfie-Hotspot“ → virale Verbreitung.
  • Image-Kampagne (2024) „Renew your view“ – Aktualisierung der Markenerzählung.
  • Demarketing-Kampagne „Stay Away“ (2023)
    • Adressat: exzessive Party-Tourist:innen.
    • Instrument: Abschreckende Videos bei Suchanfragen nach „sex, drugs, cheap hotel Amsterdam“.
  • Bewertung über 16 Profil-Dimensionen (u. a. Lebensqualität, Kultur, Innovation) zur Messung des Markenfits.

Vergleich Neukölln vs. Amsterdam (Diskussionsimpulse)

  • Neukölln: „Mach dir dein eigenes Bild“ – eher Bottom-up, stadtteilzentriert, unklare Laufzeit.
  • Amsterdam: „Renew your view“ – Top-down, city-wide Masterbrand, seit >20\,Jahren konsistent.
  • Leitfragen
    • Wer sind die verantwortlichen Akteure?
    • Welche Ziele? Welcher Zeithorizont?
    • Unterschiede in Botschaft, Beteiligung, Budget, Governance.

Theoretischer Vergleich – Place Marketing vs. Place Branding

DimensionPlace MarketingPlace Branding
SchwerpunktKommunikation & ServiceGanzheitliche Stadtentwicklungsstrategie
ZielAufmerksamkeit & kurzfristige VerhaltensänderungAufbau einer langfristigen Markenidentität
Zeithorizontkurz- bis mittelfristiglangfristig
Hauptakteureöffentliche Einrichtungen (Stadtmarketing, Wirtschaftsförderung)intersektoral (Verwaltung, Stadtplanung, Bürger:innen, Wirtschaft, Kultur)

Destination Placement (Produktplatzierung von Orten)

  • Definition: Gezielte Inszenierung realer Orte in Filmen, Serien oder Games, um deren Attraktivität zu steigern.
  • Beispiel: James-Bond-Film „Spectre“ (2015) – Eröffnungssequenz in Mexico-City.
    • Mögliche Ziele der Stadt:
    • Steigerung internationaler Bekanntheit.
    • Positionierung als Kultur- & Eventstandort (Día de los Muertos).
    • Erhöhung touristischer Nachfrage.
    • Wirkung auf Zielgruppen:
    • Tourist:innen → Reiseziel-Inspiration.
    • Investor:innen → Wahrnehmung als dynamischer Wirtschaftsraum.
    • Einheimische → Stolz/Re-Branding der eigenen Stadt.
    • Einordnung: Kann sowohl City Marketing (einzelne Maßnahme) als auch Teil eines City-Branding-Prozesses sein, abhängig von Einbettung.

Der Bilbao-Effekt

  • Begriff: Beitrag architektonischer Ikonen & Kulturprojekte zur Neupositionierung ganzer Städte.
  • Kernelemente
    • Spektakuläre Investition (häufig >100\,Mio.\,€).
    • Internationale Strahlkraft → starke Medienresonanz.
    • Nachhaltige Veränderung von Wahrnehmung & Wirtschaftsstruktur.
  • Paradebeispiel: Guggenheim-Museum Bilbao (Architekt: Frank Gehry) Eröffnung 1997 .
  • Kritische Aspekte:
    • Verdrängung lokaler Bevölkerung („touristification“).
    • Abhängigkeit von „Star-Architektur“ vs. langfristiger Stadtentwicklung.

Nation Branding & Soft Power: Saudi-Arabien

  • Vision 2030: Wirtschafts- und Gesellschaftsreformen zur Reduktion der Öl-Abhängigkeit.
  • Instrumente
    • Kultur (Museen, Mega-Events).
    • Sport (Formel 1, Fußball-Stars, eSports) → Vorwurf des Sportwashing.
  • Leitfragen
    • Wie glaubwürdig ist das Markenversprechen angesichts Menschenrechtslage?
    • Grenzen des Nation Brandings, wenn Taten \neq Botschaften.
  • Ethik-Dimension: Reputationsmanagement vs. tatsächliche Veränderung.

Praktische Anwendung – MICE-Konzept Leipzig (To-do-Liste)

  1. Situationsanalyse
    • Marktvolumen MICE ( Meetings, Incentives, Conventions, Events ).
    • Konkurrenzstädte (Berlin, Dresden, Prag).
    • SWOT-Analyse Leipzig.
  2. Zieldefinition
    • Quantitativ: z. B. +15\% MICE-Übernachtungen bis 2028 .
    • Qualitativ: Positionierung als „nachhaltigste MICE-Destination Deutschlands“.
  3. Stakeholder-Einbindung
    • Leipziger Messe, Hotellerie, Kongresszentrum, Wissenschaft, Kultur, Bürger:innen.
  4. Marken- & Kommunikationsstrategie
    • Kernbotschaft: „Leipzig connects people & ideas“.
    • Storytelling (Musikstadt + Start-up-Ökosystem).
    • Multichannel-Kampagne (LinkedIn, Fachpresse, Virtual‐Site‐Inspections).
  5. Produkt- & Service-Entwicklung
    • Green-Meeting-Pakete, digitale Hybridevents, Rahmenprogramme (Bach, Street-Art-Tour).
  6. Budget & Ressourcenplanung
    • Öffentliche Fördermittel (\approx 2\,Mio.\,€\,/Jahr) .
    • Sponsoren & Partnerbeiträge.
  7. Zeitplan & Meilensteine
    • Konzeptfreigabe Q2\,2025 .
    • Pilotveranstaltungen 2026 .
    • Voll-Rollout 2027 .
  8. Evaluierung & KPIs
    • Teilnehmerzahlen, Auslastung, durchschnittliche Aufenthaltsdauer.
    • CO$_2$-Bilanz der Events.
    • Net Promoter Score der Veranstalter.

Verbindungen zu früheren Vorlesungen / Grundprinzipien

  • Marketingmix (4P) → Übertrag auf Städte: Product (Ort), Price (Kostenstruktur), Place (Erreichbarkeit), Promotion (Kommunikation).
  • Markenidentität vs. Markenimage: Brand Identity Prism → externe & interne Passung.
  • Stakeholdertheorie → Einbindung multipler Anspruchsgruppen essentiell.

Ethische, philosophische & praktische Implikationen

  • Balance zwischen Tourismus-Wachstum und Lebensqualität Einheimischer.
  • Gentrifizierung vs. Stadtteilaufwertung (Beispiel Neukölln).
  • Authentizität vs. Inszenierung: Gefahr des „Disneyfizierung“ urbaner Räume.
  • Verantwortung von Medien & Filmen beim Destination Placement (z. B. Stereotype Mexico-City?).
  • Nachhaltigkeitsanforderungen (ökologisch, sozial, ökonomisch) an Place Branding.

Wichtige Zahlen, Daten, Fakten (Übersicht)

  • 1977 – „I NY“ Kampagne.
  • 1997 – Eröffnung Guggenheim Bilbao.
  • 2004 – Einführung „I amsterdam“.
  • 2015 – James Bond „Spectre“ Dreharbeiten Mexico-City.
  • 2023 – Amsterdam Demarketing „Stay Away“ & Wien „Take a Trip to Vienna“.
  • 2024 – Update „I amsterdam“ Brand; Pilot „Probewohnen“ Guben.
  • 2025 – Fortsetzung „Probewohnen“ Eisenhüttenstadt.
  • 2030 – Zieljahr Saudi Vision 2030.

Merksätze ("Take-aways")

  • "Place Marketing verkauft, Place Branding formt."
  • Ohne Glaubwürdigkeit keine nachhaltige Markenwirkung.
  • Ikonische Architektur kann Katalysator sein, ersetzt aber keine ganzheitliche Strategie.
  • Soft-Power-Maßnahmen wirken nur, wenn sie von gesellschaftlichen Reformen begleitet werden.