Branding und Identität – Vorlesung Prof. Dr. Berit Sandberg
- Marketoon „Kann ich bitte nur diesen Kaugummi kaufen, ohne mit der Marke interagieren zu müssen?“
- Pointe: Zwang zur Markeninteraktion (Loyalty Card) illustriert den Allgegenwärtigkeits-Anspruch moderner Marken.
- Verweis auf Konsumentenfrustration → Relevanz starker, aber empathischer Markenführung.
Lernziele der Einheit
- Sie können …
- Marken auch im Public- & Nonprofit-Sektor verorten und begründen, warum sie dort nützlich sind.
- Konzepte „Marke“ & „Corporate Identity (CI)“ definieren und anwenden.
- Leistungen systematischer Markenführung erklären und deren Relevanz für nicht-kommerzielle Organisationen beurteilen.
- Konsequenzen gebrochener Markenversprechen („Brand Break“) bewerten.
Dimensionen des Markenbegriffs
- Merkmalsorientiert
- Frage: „Was macht eine Marke sichtbar?“
- Fokus: Markiertes Produkt → äußere Markenidentität (Logo, Name, Verpackung).
- Funktionsorientiert
- Frage: „Was leistet eine Marke?“
- Juristische Perspektive: gewerbliches Schutzrecht, Differenzierung, Bekanntheit.
- Wirkungsorientiert
- Frage: „Was bewirkt eine Marke im Kopf?“
- Vorstellungsbild, Markenversprechen, aufgebautes Vertrauen.
Markenpräferenz-Experiment (Coca-Cola vs. Pepsi)
- Blindtest
- Marke A (Coca-Cola?): 51\% Präferenz.
- Marke B (Pepsi?): 44\% Präferenz.
- 5\% egal.
- Test mit Markendarbietung
- Coca-Cola: 80\% Präferenz.
- Pepsi: 20\% Präferenz.
- Interpretation
- Sichtbare Marke verstärkt Präferenz massiv → Markenwirkung > Produktgeschmack.
Markennutzen bei Konsumgütern
- Nachfragerperspektive
- Orientierungs- & Entlastungsfunktion (Wiedererkennung spart Suchkosten).
- Identifikation & Prestige (Selbstdarstellung, Gruppenzugehörigkeit).
- Vertrauensfunktion (Qualitätsgarantie).
- Anbieterperspektive
- Differenzierung & Präferenzbildung → Kundenbindung.
- Preispolitischer Spielraum (Price Premium).
- Markenwert steigert Unternehmenswert ("Brand Equity").
Dienstleistungsmarken: Besonderheiten & Lösungsansätze
- Probleme
- Immateriell, nicht lagerfähig, Produktion & Konsum simultan → schwer standardisierbar.
- Qualitätsbeurteilung erst nach Kauf oder gar nicht möglich (Vertrauensgüter).
- Lösungen
- Sichtbarmachung tangibler Elemente (z.B. Uniformen, Räume, Digital UX).
- Personalschulung als „lebende Marke“.
- Prozessdesign & Storytelling für erlebbare Qualität.
Marken im Public- & Nonprofit-Marketing
- Übertragbare Nutzenfunktionen
- Orientierung, Entlastung, Vertrauen – besonders wichtig bei Behörden/NPOs.
- Unterschiede / kritische Fragen
- Prestige: Bedeutet nicht Luxus, sondern moralisches / gesellschaftliches Ansehen.
- Wertsteigerung: Keine Shareholder-Value-Logik, sondern Legitimität, Fördermittel, Freiwilligenbindung.
- Welche Funktionen wichtiger? → Vertrauen & Legitimation > Preisprämie.
- Typische Markenziele
- Vertrauen, Transparenz, gesellschaftliche Wirkung (Impact) statt Umsatz.
- Beispiele
- BSR, Diakonie, Deutscher Tourismusverband (i-Marke für Tourist-Infos).
Corporate Identity (CI): Konzept & Bausteine
- Definition
- Strategisch geprägtes Selbstbild, das sich in Erscheinungsbild, Kommunikation & Verhalten zeigt.
- Bausteine
- Corporate Design (CD): Logo, Farben, Schriften. Beispiel: Amnesty International Visual Identity Guidelines.
- Corporate Communication (CC): Tonalität, Stil. Beispiel: Amnesty International House Style.
- Corporate Behaviour (CB): Internes & externes Verhalten, Werte. Beispiel: Amnesty USA Code of Conduct.
CI vs. Marke
- CI = Selbstbild („Wie bin ich?“)
- Marke = Fremdbild in Köpfen der Stakeholder („Wie werde ich wahrgenommen?“)
- Branding-Ziel: Synchronisation von Markenidentität (angestrebtes Fremdbild) & Markenbild (tatsächliche Wahrnehmung).
- CI-Management (Innenwirkung) ↔ Markenführung (Außenwirkung).
Markenarchitektur: Begriffsabgrenzungen
- Markenidentität → angestrebtes Fremdbild.
- Markenkern → zentrale Idee/Leistungsversprechen.
- Markenbild → wahrgenommenes Gesamtbild.
- Markenimage → emotional wertende Teilmenge des Markenbilds.
- Markenpersönlichkeit (Brand Personality) → menschliche Eigenschaften.
Fallstudie Deutsche Bahn (DB)
- Elementen der Wiedererkennung
- Rotes DB-Logo, Hausschrift, Zuggattungen (ICE, IC).
- Corporate Sound, Bahnhofsdesign, Uniformen.
- Kommuniziertes Markenversprechen
- Menschlich (sympathisch, einfach), Verlässlich (sicher, zuverlässig), Ökologisch (Klimaschutz), Innovativ (weiterdenken).
- Ziel: DB als „Love Brand“ → Kunden verzeihen Fehler
- Analyseaufgaben (Lehrplan)
- Markenimage beschreiben (z.B. verspätet, teuer vs. klimafreundlich).
- Markenpersönlichkeit skizzieren (z.B. gutmütiger, aber unpünktlicher Freund?).
Markenbruch (Brand Break) & Markeninkongruenz
- Definition
- Diskrepanz zwischen kommunizierter Markenidentität & erlebter Realität.
- Konsequenzen
- Vertrauensverlust, Imageschaden, negative Mundpropaganda.
- NGO-Beispiele
- UNICEF Deutschland 2007: Intransparenz/Vetternwirtschaft.
- Oxfam 2018: Sexueller Missbrauch.
- UN-Peacekeeping: „Sextortion“ Vorwürfe.
Erfolgsfaktoren der Markenführung (Branding)
- Anbindung an CI (Kohärenz).
- Klar formuliertes Markenversprechen.
- Zielgruppenorientierung & Differenzierung.
- Konsistenz über alle Touchpoints (Kommunikation & Verhalten!).
- Glaubwürdigkeit & Authentizität (Walk the Talk).
Vom Hate- zur Love-Brand: BVG Case Study
- Selbstironie („Wir sind nicht perfekt … Berliner Schnauze“).
- Maßnahmen
- Humoriges Storytelling (Social Media, Kampagne #weilwirdichlieben).
- Offene Kommunikation von Schwächen → Vertrauensaufbau.
- Ergebnis
- Positive Markenwahrnehmung trotz objektiver Leistungsdefizite.
Heilung eines gebrochenen Markenversprechens
- Transparente Fehlerkommunikation (Speed matters!).
- Sichtbare Korrekturmaßnahmen & Verantwortungsübernahme.
- Re-Alignment: Identität ↔ Realität wieder deckungsgleich machen.
- Stakeholder-Einbindung (Co-Creation, Feedbackloops).
- Langfristige Konsistenz & Beweisführung durch Taten.
Reflexionsfragen (Lerncheck)
- Kann man sich in eine Stadt „verlieben“ wie in eine Love Brand?
- Hinweise: Place Branding, emotionale Bindung, Identifikationspotenzial.
- Was passiert mit der Stadt-Marke, wenn Erwartungen enttäuscht werden?
- Folgerisiken: Imageschaden, Rückgang von Tourismus/Investitionen, Vertrauensverlust der Bewohner.
Praktische, ethische & philosophische Implikationen
- Markenversprechen als impliziter „psychologischer Vertrag“ → moralische Verantwortung.
- NGOs & Behörden: Höhere Glaubwürdigkeitsanforderung (Spenden, Steuergelder).
- Gefahr überbordender Kommerzialisierung vs. Nutzen klarer Identität.
- Balance zwischen Storytelling & tatsächlicher Wertschöpfung (kein „Purpose-Washing“!).
- Alle Prozentangaben als LaTeX dargestellt, z.B. 80\% vs. 20\%.
- Kein klassisches Formelwerk, aber Zahlenbeispiele illustrieren Markenwirkung.
Zusammenfassung für die Prüfung
- Verinnerlichen Sie die drei Markenbegriffs-Dimensionen & deren Relevanz.
- Können Sie Nutzendimensionen für Konsum-, Dienstleistungs- & Nonprofit-Marken differenziert erklären?
- Erkennen Sie Symptome von Markenbruch und beschreiben Sie Heilungsstrategien.
- Verstehen Sie die Rollenverteilung CI (Innen) vs. Marke (Außen) & deren Verzahnung.
- Wenden Sie das DB- & BVG-Beispiel an, um Markenidentität, Markenbild und Branding-Maßnahmen konkret zu illustrieren.