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Vorlesung_Kap._6.3

Rückstellungen

  • Rückstellungen sind Schuldposten auf der Passivseite der Bilanz, die zukünftige finanzielle Belastungen aus gegenwärtigen oder vergangenen Ereignissen widerspiegeln.

  • Sie dienen dazu, Aufwendungen und Erträge in der Gewinn- und Verlustrechnung periodengerecht und verursachungsgerecht auszuweisen. Dies ist besonders wichtig, um ein realistisches Bild der finanziellen Lage des Unternehmens zu vermitteln.

  • Rückstellungen sind anfällig für Manipulationen, um Gewinne bewusst höher oder niedriger anzusetzen. Eine sorgfältige und nachvollziehbare Dokumentation ist daher entscheidend.


Unterschied zwischen Rückstellungen und Verbindlichkeiten

  • Rückstellungen dienen der Erfolgsabgrenzung, indem alle Zahlungsverpflichtungen des Unternehmens passiviert werden, die wahrscheinlich, aber hinsichtlich ihrer Höhe oder Fälligkeit ungewiss sind.

  • Ziel ist es, das richtige Vermögen in der Bilanz und den richtigen Gewinn in der Gewinn- und Verlustrechnung zu erfassen, um eine transparente und verlässliche Darstellung der wirtschaftlichen Situation zu gewährleisten.


Verbindlichkeiten
  • Sichere Verpflichtungen:

    • Verpflichtungen, die in der Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit anfallen.

    • Zahlungsverpflichtungen, z.B. aus Lieferungen und Leistungen, deren Höhe und Zeitpunkt genau bestimmbar sind.


  • Beispiel:

    • Kauf von Handelswaren auf Ziel mit fest vereinbarten Zahlungsbedingungen.

    • Buchungssatz: Per Wareneinkauf und Vorsteuer an Verbindlichkeit aus Lieferung und Leistung.


  • Sicherheit:

    • Dem Grunde nach: Ist es klar, ob gezahlt werden muss? (Ja)

    • Der Höhe nach: Ist es klar, wie viel gezahlt werden muss? (Ja)

    • Der Fälligkeit nach: Ist es klar, wann gezahlt werden muss? (Ja)


  • Wenn alle drei Fragen mit Ja beantwortet werden können, handelt es sich um eine sichere Verpflichtung, die als Verbindlichkeit ausgewiesen wird.


Rückstellungen
  • Unsichere Verpflichtungen gegenüber Dritten:

    • Potenzielle Garantiefälle, deren Eintrittswahrscheinlichkeit und Höhe ungewiss sind.

    • Schadensersatzforderungen, bei denen die rechtliche Grundlage und die Höhe der Forderung noch nicht feststehen.


  • Garantien (ähnlich Gewährleistungen):

    • Freiwillige Zusicherung, z.B. Kundenzufriedenheit oder bestimmte Produkteigenschaften.

    • Beispiel: Rückgabe des Produkts innerhalb von 12 Monaten bei Unzufriedenheit. Die Höhe der Rückstellung basiert auf Erfahrungswerten.

    • Beispiel: Garantierte technische Funktionsfähigkeit über die gesetzliche Gewährleistung hinaus (z.B. 5 Jahre beim Automobil). Die Rückstellung berücksichtigt erwartete Reparaturkosten.


  • Schadensersatzforderungen:

    • Klage durch Kunden oder Lieferanten aufgrund von Vertragsverletzungen oder Produktmängeln.

    • Beispiel: Beschädigte Produkte verursachen Produktionsausfälle beim Kunden.

    • Rückstellung bilden, wenn die Forderungen möglicherweise berechtigt sind und eineRatio abgeschätzt werden kann.


Unsicherheit bei Schadensersatzforderungen

  • Es ist nicht sicher:

    • Ob gezahlt werden muss (ob der Richter dem Kläger Recht gibt). Die Einschätzung basiert auf rechtlicher Beratung.

    • Wie hoch der Schadensersatz sein wird. Gutachten und Erfahrungswerte spielen eine Rolle.

    • Wann gezahlt werden muss. Der Zeitpunkt hängt vom Ausgang des Gerichtsverfahrens ab.


Ungewisse Verpflichtungen gegenüber sich selbst (Sonderfall im deutschen Handelsrecht)
  • Beispiel:

    • Kurzfristig unterlassene Instandhaltung einer Lagerhalle, die zu Folgeschäden führen kann.

    • Sturmschaden am Dach der Lagerhalle Ende Dezember, der die Lagerware gefährdet.


  • Verpflichtung:

    • Reparatur des Daches aus Eigeninteresse des Kaufmanns, um den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten.

    • Die notwendigen Kosten müssen bereits im alten Geschäftsjahr als Aufwand erfasst werden, um das Prinzip der periodengerechten Erfolgsermittlung einzuhalten.

    • Eine entsprechende Rückstellung wird eingebucht, auch wenn die genaue Höhe und der Zeitpunkt der Zahlung noch unklar sind. Die Schätzung basiert auf Kostenvoranschlägen.


Beispiel zur Verdeutlichung des Unterschieds zwischen Verbindlichkeiten und Rückstellungen

Ausgangssituation
  • Aktiva:

    • Gebäude: 80

    • Bankkonto: 20

    • Bilanzsumme: 100


  • Passiva:

    • Eigenkapital: 90

    • Verbindlichkeiten: 10

    • Bilanzsumme: 100


Fall 1: Erhalt eines Steuerbescheids zur Nachzahlung von 10 Gewerbesteuer mit Zahlungsaufforderung bis zum 15.01.02
  • Aktivseite:

    • Keine Veränderung, da der Steuerbescheid keinen direkten Einfluss auf die Aktiva hat.


  • Passivseite:

    • Eigenkapital: 80

    • Verbindlichkeiten: 20


  • Begründung:

    • Sichere Verpflichtung, da alle drei Fragen (ob, wie viel, wann) mit Sicherheit beantwortet werden können. Der Steuerbescheid ist rechtskräftig.

    • Erfassung einer Verbindlichkeit in Höhe von 10, da die Steuerschuld konkret feststeht.

    • Das Eigenkapital reduziert sich um 10, da die Gewerbesteuer als Aufwand in der Gewinn- und Verlustrechnung erfasst wird. Dies mindert den Gewinn und somit das Eigenkapital.

    • Buchungssatz: Per Gewerbesteueraufwand an Verbindlichkeit.


Fall 2: Kunde klagt auf Schadensersatz. Es ist wahrscheinlich, dass die Klage erfolgreich ist und 10 gezahlt werden muss.
  • Aktivseite:

    • Keine Veränderung, da die Klage noch keine direkten Auswirkungen auf die Aktiva hat.


  • Passivseite:

    • Eigenkapital: 80

    • Rückstellung: 10

    • Verbindlichkeiten: 10


  • Begründung:

    • Erfassung einer Rückstellung in Höhe von 10, da die Verpflichtung wahrscheinlich, aber nicht sicher ist. Die Klage ist noch nicht entschieden.

    • Keine sichere Verpflichtung, da nicht alle drei Punkte (ob, wie viel, wann) abschließend geklärt sind. Die Einschätzung basiert auf einerRisikoanalyse.

    • Es ist ungewiss, ob der Richter dem Kunden Recht gibt, wie hoch der Schadensersatz sein wird und wann dieser zu zahlen ist. Daher wird eine Rückstellung gebildet.

    • Buchungssatz: Per Aufwand an Rückstellung.


Gesetzliche Grundlage für die Bildung und Auflösung von Rückstellungen (§ 249 HGB)

Absatz 1
  • Rückstellungen sind für ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften zu bilden. Dies dient demGläubigerschutzund demPrinzip der Vorsicht.

  • Ferner sind Rückstellungen zu bilden für:

    • Im Geschäftsjahr unterlassene Aufwendungen für Instandhaltung, die im folgenden Geschäftsjahr innerhalb von 3 Monaten nachgeholt werden. Dies soll verhindern, dass Unternehmen notwendige Instandhaltungsmaßnahmen aufschieben, um den Gewinn kurzfristig zu erhöhen.

    • Gewährleistungen, die ohne rechtliche Verpflichtung erbracht werden (Kulanzleistungen). Hierdurch werden auch freiwillige Leistungen abgebildet.


  • Diese Pflicht bezieht sich auf vier verschiedene Gründe bzw. Zwecke, die sicherstellen sollen, dass alle wesentlichen Risiken undVerpflichtungenberücksichtigt werden.


Gründe für die Bildung von Rückstellungen:

  1. Ungewisse Verbindlichkeiten (z.B. ausstehende Rechnung mit unklarer Höhe). Die Ungewissheit kann sich auf den Grund oder die Höhe beziehen.

  2. Drohende Verluste aus schwebenden Geschäften (z.B.Verlustaus einem noch nichtabgeschlossenen Kaufvertrag). Hier muss der Verlust wahrscheinlich sein.

  3. Im Geschäftsjahr unterlassene Aufwendungen für Instandhaltung, die im folgenden Geschäftsjahr innerhalb von 3 Monaten nachgeholt werden (oder Abraumbeseitigung innerhalb von 12 Monaten). Dies betrifftAufwendungen, die betrieblich veranlasst sind.

  4. Gewährleistungen, die ohne rechtliche Verpflichtung erbracht werden (Kulanzleistungen). Die Rückstellung berücksichtigt die erwarteten Kosten.


Absatz 2
  • Für andere als die in Absatz 1 bezeichneten Zwecke dürfen Rückstellungen nicht gebildet werden. Dies dient derBegrenzungdesErmessensspielraums.

  • Rückstellungen dürfen nur aufgelöst werden, soweit der Grund hierfür entfallen ist. Eine Auflösung aus rein steuerlichen Gründen ist nicht zulässig.


Buchung der Rückstellung
  • Typischerweise: Per Aufwandskonto an Rückstellung. Der Aufwand mindert den Gewinn.

  • Die Wahl des konkreten Aufwandskontos hängt vom Rückstellungstyp ab. Dies ermöglicht eine detaillierte Zuordnung.

  • Relativ häufig wird das Aufwandskonto sonstige betriebliche Aufwendungen gebucht, insbesondere wenn kein spezifischeres Konto existiert.


Umfangreiches Beispiel zur Verdeutlichung der Wirkungsweise

Bildung der Rückstellung
  • Beispielsachverhalt:

    • Kunde bemängelt Warenlieferung, es kommt zum Prozess. Der Kunde fordertNachbesserungoderSchadensersatz.

    • Vorauszahlung von 2000 Euro an das Gericht am 01.06.01. Diese Zahlung dient zur Deckung der Gerichtskosten.

    • Am Bilanzstichtag muss befürchtet werden, den Prozess zu verlieren und zu 70000 Euro Schadenersatz verurteilt zu werden. Die Einschätzung basiert auf einer rechtlichen Bewertung.

    • Es ist eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu passivieren (§ 249, Abs. 1 HGB). Die Rückstellung spiegelt das finanzielleRisikodurch denprozess wider.


Buchungssätze in Periode 1
  • 01.06: Per Sonstige betriebliche Aufwendungen an Bank 2000 Euro (Vorauszahlung an die Gerichtskasse). Diese Zahlung ist sofort als Aufwand zu erfassen.

  • 31.12: Per Sonstige betriebliche Aufwendungen an Rückstellung 70000 Euro (Bildung der Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten). Die Rückstellung wird zum Bilanzstichtag gebildet.

  • 31.12: Per GuV an Sonstige betriebliche Aufwendungen 72000 Euro (FormaleAbschlussbuchung). Die Aufwendungen werden in dieGewinn-undVerlustrechnungübertragen.

  • 31.12: Per Rückstellung 70000 Euro an SBK 70000 Euro (FormaleAbschlussbuchung). Die Rückstellung wird in die Schlussbilanz übertragen.


Teekontendarstellung
  • Bank: Abgang von 2000 Euro (Vorauszahlung). Dies reduziert denBankbestand.

  • Sonstige betriebliche Aufwendungen: Vorauszahlung und Einbuchung der Rückstellung. Hier werden alle relevanten Aufwendungen erfasst.

  • GuV: Übernahme der Aufwendungen aus dem Konto Sonstige betriebliche Aufwendungen. DieGewinn-undVerlustrechnungzeigt den gesamten Aufwand.

  • Rückstellung: Einbuchung der Rückstellung über 70000 Euro und formaleAbschlussbuchung. Die Rückstellung wird in der Bilanz ausgewiesen.


Auflösung von Rückstellungen

  • Rückstellungen dürfen nur aufgelöst werden, soweit der Grund hierfür entfallen ist (§ 249, Abs. 2 HGB). Dies dient derBilanzkontinuität.

  • Der Rückzahlungsbetrag entspricht nicht unbedingt demAuszahlungsbetrag. Dies kann zuErträgenoderAufwendungenführen.


Drei Fälle sind zu unterscheiden:
  • Auszahlung = Rückstellung

    • KeinGuV-Effekt, da die Auszahlung genau der gebildeten Rückstellung entspricht.


  • Auszahlung < Rückstellung

    • Erhöhung des Gewinns (Ertrag), da die Rückstellung höher war als die tatsächliche Auszahlung.

    • Erfassung eines sonstigen betrieblichen Ertrags (SPE), um den Gewinn korrekt darzustellen.


  • Auszahlung > Rückstellung

    • Verminderung des Gewinns (Aufwand), da die Auszahlung höher war als die gebildete Rückstellung.

    • Erfassung eines sonstigen betrieblichen Aufwands, um den Verlust korrekt darzustellen.


Buchungssätze zu den Varianten a und b
  • Variante a: Prozess geht wie erwartet verloren, Zahlung von 70000 Euro Schadenersatz am 20.12.02.

    • Buchungssatz: Per Rückstellung 70000 Euro an Bank 70000 Euro (Auflösung der Rückstellung und Abgang vom Bankkonto). Die Rückstellung wird gegen die tatsächliche Auszahlung aufgelöst.


  • Variante b: Verurteilung zu 60000 Euro Schadenersatz, Zahlung am 20.12.02.

    • Buchungssatz: Per Rückstellung 70000 Euro an Bank 60000 Euro und sonstiger betrieblicher Ertrag 10000 Euro (Auflösung der Rückstellung, Abgang vom Bankkonto und Erfassung eines Ertrags aus der zu hoch dotierten Rückstellung). Der Ertrag entsteht, weil die Rückstellung überhöht war.


Variante c: Verurteilung zur Zahlung von 90000 Euro Schadenersatz, Überweisung am 05.01.03

Buchungssatz für Periode 02:

  • Per Rückstellung 70000 und sonstiger betrieblicher Aufwand 20000 an sonstige Verbindlichkeiten 90000.


In Periode 03:

Per sonstige Verbindlickeiten 90000 an Bank 90000.

  • Auflösung der Rückstellung

  • Sie müssen sich eine sonstige Verbindlichkeit einbuchen, da es sich um eine sichere Verpflichtunghandelt und die Auszahlung im neuen Geschäftsjahr erfolgt. Die sonstige Verbindlichkeit wird im neuen Jahr beglichen.